Am 9. August macht Tillmann Otto alias Gentleman mit seiner Band Station auf der Bayreuther Seebühne. Im Vorfeld sprach Andi Bär mit dem weltweit erfolgreichen Reggae-Star über alte Weggefährten, Kollaborationsideen, kulturelle Aneignung und natürlich das, was seine Fans auf dem Konzert erwartet.
bayreuth4U: Servus Tillmann, schön, dich vor deinem allerersten Auftritt in Bayreuth an die Strippe zu bekommen.
Gentleman: Es ist mir ein Vergnügen. Ich bin wirklich gespannt darauf und hoffe, dass die Seebühne eine richtig schöne Location ist. Ich weiß ganz ehrlich gar nicht, ob ich schon einmal in Bayreuth war.
bayreuth4U: Da darfst du dich freuen. Das einstige Landesgartenschaugelände ist ein Schmuckstück geworden. Mit einem schönen, kleinen See, an dessen Rand die Bühne steht. Und mit einem fest installierten Kiosk – der Nachschub an Bayreuther Hell ist gesichert.
Gentleman: Das klingt doch ganz gut. Ich mag solche kleinen Locations und intimere Konzerte tatsächlich lieber als Rock am Ring. Wobei ich inzwischen lieber mal einen Tee statt ein Bier trinke.
bayreuth4U: Lass uns die Zeit etwas zurückdrehen. Auch wenn du nie in Bayreuth warst, hattest du ja trotzdem Berührungspunkte. Mit Mellow Mark, einem der populärsten Musiker der Stadt, hast du einst zusammen aufgenommen. Gibt es da noch Kontakt?
Gentleman: Stimmt, wir hatten echt eine gute Zeit. Aber in der Tat haben wir nicht mehr so viel Kontakt. Manchmal trennen sich einfach die Wege und man macht einen anderen Turn. Wir würden uns aber trotzdem freuen, wenn man sich sieht.
bayreuth4U: Eigentlich schade. Das wäre ja mal eine Idee, ihn als Opener mitzubringen. Aber da hast du ja oft deine Frau Tamika, die dich begleitet. Apropos: Dein alter Weggefährte Max Herre bringt gerade mit seiner Ehefrau Joy Denalane ein gemeinsames Album auf den Markt. Hast du schon einmal überlegt, das mit deiner Ehefrau zu tun?
Gentleman: Lustigerweise so direkt noch nie. Jetzt schon. Ich denke, dass ist eine gute Idee. Das machen wir. Wir helfen uns ja musikalisch seit 20 Jahren immer wieder. Die Idee finde ich aber echt sexy. Wenn mich in drei Jahren dann jemand fragt, wie ich darauf gekommen bin, sage ich dem einfach nur, dass ich damals ein Interview mit Andi aus Bayreuth geführt habe und der mich drauf gebracht hat.
bayreuth4U: Weil wir gerade dabei sind. Gäbe es jemanden, mit dem dich ein Kollaborationsalbum reizen würde?
Gentleman: Da gäbe es einige. Tracy Chapman und Sade, um mal hochzugreifen. Aber auch mit Trettmann würde ich gerne mal einen Song einspielen. Solche Sachen kannst du aber nicht planen. Da muss alles passen und es flunkern, dann kann man es machen.
bayreuth4U: Interessantes Spektrum. Erzähl den Leser:innen doch gleich noch, was deine private Playlist in petto hat.
Gentleman: Das ist ganz vielfältig. Sade hat vor einigen Monaten einen Song herausgebracht, der läuft nahezu täglich bei mir nach dem Frühstück. Momentan höre ich ganz viele Sachen aus Nigeria. Und natürlich ganz, ganz viele Reggeasachen aus Jamaika. Hip-hop-technisch bin ich gerade etwas raus. Mixtapes von meinen Kumpels aus New York sind auch immer dabei.
bayreuth4U: Du giltst weltweit als einer der anerkanntesten nichtjamaikanischen Reggeamusiker. In den letzten Jahren ist man um die Diskussion über kulturelle Aneignung nicht umhingekommen. Wie siehst du hier den Status Quo?
Gentleman: Ich glaube, dass das hysterisch überdiskutiert wurde und wir jetzt hoffentlich alle etwas müde davon sind. Ich hoffe, dass sich das beruhigt. Ich hatte ja in einem großen Interview in der ZEIT meine Meinung dazu gesagt. Es gibt da viel Berechtigtes, aber es ist auch vieles überdreht und hysterisch. Ohne den Austausch wären wir nicht da, wo wir sind. Punkt!
bayreuth4U: Was würdest du dir denn im gesellschaftlichen Kontext wünschen?
Gentleman: Ich wünsche mir allgemein, ob politisch oder gesellschaftlich, mehr Gelassenheit. Dass wir wieder mehr zuhören und weniger rausposaunen, ohne uns Gedanken zu machen. Auch „agree to disagree“, gerade in der holzigen politischen Landschaft. Einfach einmal zuhören, ohne gleich auf die Barrikaden zu gehen. Das ist so mein Credo. Das Schöne am Älterwerden ist ja, dass man nicht mehr alles verstehen muss. Ich versuche mit meiner Musik, meinem Mikrokosmos und dem, was ich ausstrahle, irgendwie die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Der Rest liegt einfach nicht in meiner Hand.
bayreuth4U: Und wie ist dein bisheriges Resümee?
Gentleman: Ich glaube ja schon, dass sich mit Blick auf die Politik alle Geschichten wiederholen und dass wir nicht so lernfähig sind, wie manch einer denkt. Das führt dazu, dass alles in Zyklen passiert. Politisch gesehen hat der Liberalismus Kratzer bekommen. Genauso wie die Demokratie weltweit gesehen. Immer dann gibt es Leute, die lautstark nach etwas anderem brüllen, das dann stärker wird. Es wird sich zeigen, wann und in welche Richtung es gehen wird.
bayreuth4U: Du hast gerade Altersweisheit angesprochen. Macht die Fünf im Alter vorne dran denn etwas mit dir?
Gentleman: Das macht schon etwas. Die Barthaare werden grauer (schmunzelt). Ich finde diese Highlander-Vision, dass wir ewig leben, grausam. Dann könnte man immer sagen, dass man Sachen morgen macht. Es wäre keine Motivation da. Das hat schon seinen Sinn, dass wir irgendwann abhauen. Ich glaube, wenn wir gelassener statt verbitterter werden, wäre das ein wichtiger Schritt. Das ist so mein Credo: In mir ruhen, mich auf das konzentrieren, was ich verstehe und auch das große Ganze sehen. Wir sind in einem Riesenuniversum und eigentlich nur ein winziger Furz dessen, was hier gerade passiert. Ich glaube schon an Gott oder – ohne die Religion einbeziehen zu wollen – an eine größere Kraft, die alles zusammenhält und alles so seinen Sinn hat, wie es ist.
bayreuth4U: Lass uns noch über deine einstige Wahlheimat Jamaika sprechen. Da ist dieses Thema der Gesamtheit und der Spiritualität ja auch sehr ausgeprägt.
Gentleman: Da ist das Stichwort die Objektivität. Wenn du mit einem anderen Blickwinkel schaust, bekommst du eine andere Perspektive. Vorschnelles und voreiliges verurteilen führt immer dazu, dass es Ignoranten gibt und nicht mehr zugehört wird. Jamaica ist nach wie vor eine Insel, die eine unfassbare Kraft hat, die eine Kreativität hat, die ihresgleichen sucht. Es ist unfassbar inspirierend und lebendig. Es ist vor allem immer die Frage, was ist wichtiger. Es gibt Menschen, die können dir alle Blumen weltweit beschreiben, aber keine riechen. Du weißt, was ich meine (schmunzelt).
bayreuth4U: Bist du eigentlich noch ab und an dort?
Gentleman: Ich war tatsächlich vor Corona das letzte Mal. Inzwischen bin ich 50 Jahre, Familienmensch. Ich bin gerne daheim anstatt zu feiern. Musik höre ich auch nur noch selektiv. Ich mag die Ruhe und dazu ein Buch lesen. Jetzt plane ich aber auch gerade ein neues Album. Don Corleon wird das produzieren. Daher werde ich sicherlich demnächst dort sein. Generell hast du aber mit Kindern einfach andere Prioritäten.
bayreuth4U: Was dürfen deine Fans denn auf dem Album erwarten?
Gentleman: Wenn ich das wüsste! Ich habe mir immer Zeit gelassen und ich werde mir immer Zeit lassen damit. Das Allerwichtigste ist – ohne es bewusst zu tun – gegen den Strom zu schwimmen. Nicht unbedingt auf den Spotify-Algorithmus zu achten, der keine Songs mit mehr als zwei Minuten 20 annimmt. Ich glaube, es wird sehr rootsig werden, mehr kann ich aber noch nicht sagen.
bayreuth4U: Was erwartet diejenigen, die noch nie auf einem Gentleman-Konzert waren, auf der Seebühne?
Gentleman: Erwartungen sind meist schlecht. Sie halten dich vom Moment weg. Fakt ist, dass wir recht wenige Gigs spielen werden, nur etwa ein Dutzend Festivals. Eines kann ich aber versprechen: Wir werden ein Feuer abbrennen, wir haben einfach tierisch Bock und freuen uns. Zudem ist es immer besonders, an Orten eingeladen zu werden und zu spielen, an denen man noch nie war. Es wird gut.
bayreuth4U: Das klingt doch perfekt! Wir freuen uns auf dich – auch wenn du kein Bier trinkst.
Gentleman: Und ich mich erst! Da freue ich mich dann auch auf das Bayreuther Hell. Ich habe ja nicht gesagt, dass ich gar keines mehr trinke. Und bis dahin genießt die Zeit, das Leben ist schön. Es wird immer Gutes und Schlechtes geben. Lass uns einfach gelassener bleiben! Das ist doch ein schönes Schlusswort, oder?
Gentleman kommt am 9. August mit seiner Band auf die Seebühne Bayreuth. Tickets gibt’s im Vorverkauf unter www.seebuehne-bayreuth.de und an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Interview: Andi Bär / Foto: Christina Gotz