Oder: Warum es sich lohnt, auch um Skeptiker zu kämpfen
Von Gert Dieter Meier
Wir reden viel über Demokratie. Und das ist gut so. Denn Demokratie ist kein Selbstläufer und schon gar keine Selbstverständlichkeit. Auch nicht in Deutschland. Auch nicht in Oberfranken. Kaum zu glauben, aber durch Zahlen belegt: Zwar sind laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahre 2022 41,4 Prozent der Befragten mit unserer Demokratie ziemlich und 7,3 Prozent sogar sehr zufrieden, aber dieser Zufriedenheit steht eine noch größere Skepsis gegenüber: 34,1 Prozent der Befragten bekannten, dass sie weniger zufrieden seien mit der Demokratie, 17,2 Prozent sind überhaupt nicht zufrieden. Fakt also ist, dass die Unzufriedenheit mit dem besten und fairsten Gesellschaftsmodell mehr als die Hälfte der Menschen unseres Landes umtreibt. Eine alarmierende Nachricht.
Dabei ist das Interesse an Politik ungebrochen, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrer Analyse „Wie viel Faulheit verträgt die Demokratie“ in der Ausgabe vom 25. Juni 2023 mit Blick auf Zahlen des Statistischen Bundesamts berichtet. Danach gaben rund 40 Prozent der Menschen an, sich für Politik zu interessieren ein Wert, der sogar um rund 10 Prozentpunkte über dem des Jahres 1980 lag. Gleichzeitig sei aber die Bereitschaft deutlich gesunken, sich über Politik zu informieren. Die Zeitung folgert daher: „Kulturpessimisten haben also einen neuen Alptraum: Schlimmer noch als jemand, der sich der Debatte verweigert, ist jemand, der an ihr teilnimmt, ohne zu wissen, wovon er spricht.“ Mehr noch: Seit Beginn der Pandemie grassiere ein richtiggehendes Desinteresse an ausführlichen Nachrichten – insbesondere in den klassischen Medien. Stattdessen wenden sich viele Menschen den sozialen Medien zu, konsumieren im Internet auch politische Stoffe, aber bekommen dort selten verlässliche Einordnungen. Was den Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer in der FAS zu diesem Schluss führt: „Die Menschen nehmen zwar Informationen auf, aber die sind so komplex und die Krisen so zahlreich, dass man sich nachher überfordert sieht.“
Für eine Gesellschaft, die das demokratische Miteinander zum Prinzip erklärt und Fakten nicht etwa verteufelt, sondern als Basis für Konsens ansieht, ist es brandgefährlich, wenn plötzlich sich die Prozesse der Meinungsbildung umkehren. Menschen haben zuerst eine Meinung, mit der sie auch durchaus alleine auf weiter Flur dastehen mögen. In den Tiefen des Internets finden sie dann aber Bestätigung selbst für abstruseste Theorien, die sodann zu einer Art eigener „Wahrheit“ in der eigenen „Bubble“ werden – schon deshalb, weil sie von der „Lügenpresse“ meist verteufelt und von der Allgemeinheit belächelt werden. Und plötzlich sind wir mittendrin in der Welt der Querdenker und Wahrheitsverweigerer, im Reich der Skeptiker und böswilligen Untersteller.
Und wer profitiert am Ende von derlei Entwicklungen? Nicht etwa die etablierten Parteien, sondern– man schaue nur nach Sonnerberg in Thüringen, wo jetzt erstmals ein AfD-Kandidat zum Landrat gewählt wurde jene Ränder, die gezielt Grenzen überschreiten und sich im Kampf um Wählerstimmen mit populistischem Unfug überbieten – immer in der Hoffnung, dass selbst die steilsten Thesen schon irgendwo auf fruchtbaren Boden fallen und also verfangen werden. Rechnen wir also die aktuelle Unzufriedenheit mit unserer Demokratie und die Lust auf kühne Thesen zusammen, könnte das ein Grund dafür sein, dass die AfD derzeit in allen Umfragen eine Wählergunst erfährt, die sie dann wohl nie bekommen würde, wenn sich die Menschen alleine an Werten, Fakten, Programmen und Haltung orientieren würden. Tun sie aber nicht. Sie verlassen sich lieber auf ihre eigene wachsende Unzufriedenheit, auf ihre Skepsis bezogen auf den politischen Mainstream und die Kraft der eigenen Unberechenbarkeit – und wenden sie deshalb und mangels anderer Alternativen, der AfD zu. Die für diesen Erfolg nichts, aber auch gar nichts kann. Sie trägt zu kaum einem der großen Probleme dieser Zeit irgendetwas Nennenswertes bei, schon gar keine Lösungen. Stattdessen setzt sich die „Demokratische Partei und Bürgerbewegung“ (AfD über die AfD) gegen die undemokratische und rechtswidrige Willkür der etablierten Altparteien ein. Freilich nicht mit Konzepten, sondern nur mit Sprüchen, Hieben unter die Gürtellinie und rechtsradikalen Grenzüberschreitungen. Weshalb die „Alternative für Deutschland“ auch weniger ein Fall für politische Lehrbücher, sondern viel eher schon für den Verfassungsschutz ist, wie zuletzt auch das Verwaltungsgericht Köln bestätigte, in dem das Gericht befand, dass es „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei“ gebe…
Wie sehr sich die allgemeine Debattenkultur auch auf lokaler Ebene gewandelt hat wir jeder bestätigen können, der sich mal ausführlicher im Netz inhaltlich mit Menschen auseinandergesetzt hat, die außerhalb des Mainstreams argumentieren. Da geht es dann bald nicht mehr um Fakten und Argumente, sondern um Gefühlslagen, Strömungen und eigene Weisheiten. Debatte alter Schule macht da kaum noch Sinn.
Nun kann es aber ja keine politische Lösung sein, den Schrägdenkern und AfD-Enthusiasten das Terrain zu überlassen und sich entnervt in die eigene Blase zurückzuziehen. Vielmehr müssen die etablierten Parteien, Kräfte und Gruppierungen auf Basis des demokratischen Grundkonsens dafür stärker denn je dafür kämpfen, dass die Zufriedenheit mit dieser unserer Demokratie wieder deutlich zunimmt. Das braucht, vor allem, Information, Wissensvermittlung, eine neue Debattenkultur. Das braucht aber auch eine Rückbesinnung der (lokalen) Medien, die bei diesem Prozess zur Stärkung der Demokratie endlich wieder eine wichtige Rolle einnehmen und für Glaubwürdigkeit werben müssen. Zeitungen, Radio und Fernsehen müssen auf allen Kanälen erklären, belegen, nachweisen, sie müssen Verfehlungen aufdecken, Fakenews den Urhebern um die Ohren hauen und Demagogen enttarnen. Und sie müssen – gerade auch in den sozialen Medien in viel stärkerem Umfang die Positionen und Programme der Parteien und Gruppierungen darlegen und durchleuchten. Das, auch das ist ihr journalistischer Auftrag.
Auch der Deutschlandfunk berichtete in einer Sendung vom 26. Februar 2023 über Ansätze zum Umgang mit der Demokratie. Und zitiert in seinem Bericht über das Projekt „55 Stimmen für die Demokratie“ im Auftrag des Thomas Mann House, Los Angeles, unter anderem Michael Zürn, Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Der sagt: „In einer Gesellschaft, in der wir Probleme lösen wollen, indem wir miteinander reden, ist es wichtig, am Konzept der Wahrheit festzuhalten. Behauptungen müssen belegbar sein – eine erste Säule der liberalen Erkenntnislehre. Wir müssen uns gegenseitig Wahrhaftigkeit unterstellen können. Wir müssen annehmen dürfen, dass die anderen nicht einfach bloß empfundene oder erfundene Wahrheiten verbreiten – eine zweite, sozusagen intersubjektive Säule der liberalen Erkenntnislehre. Und die dritte Säule: Wir müssen uns Experten unterordnen, Experten, die mühselig errungene Wahrheiten unserer Zivilisation besser beurteilen können und sozusagen verwalten – gemeint sind Wissenschaftler…Wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, gibt es zwischen diesen Säulen Stress: Das subjektive Empfinden steht gegen die empirische Forschung, die Weisheit der Masse gegen das Wissen der Experten. Und wer sich im Diskurs nicht vertreten fühlt, der zweifelt grundsätzlich an, ob die Ergebnisse aus den öffentlichen Diskussionen überhaupt rational, fair, wahrhaftig zustande gekommen sind. Der Weg aus diesem Schlamassel führt wieder über die Wahrheit und die Weisen, wie wir mit ihr umgehen, analysiert Michael Zürn“
Der Rechtsphilosoph Christoph Möllers sagt, ebenfalls im Deutschlandfunk, dass man versuchen müsse, die Demokratie-Skeptiker zu verstehen. Denn die Demokratie lebe gerade durch diejenigen, die von ihr überzeugt werden müssen. Allerdings nur, solange diese Skeptiker nicht das Fundament der Demokratie untergraben.
Ich würde daher die Frage der FAS, wie viel Faulheit die Demokratie vertage, wie folgt beantworten: Herzlich wenig! Wir müssen aktiv und wachsam bleiben!
Sie haben eine Anmerkung zu diesem Beitrag oder eine ganz andere Meinung – schreiben Sie mir gerne eine Mail an gdmeier@web.de
Zur Person
Gert Dieter Meier ist seit mehr als 35 Jahren Journalist - und vor allem in den Bereichen Kommunalpolitik und Kultur unterwegs. Seit 2020 gehört er als Unabhängiger dem Bayreuther Stadtrat an. Für Bayreuth 4U beleuchtet Meier in seiner monatlichen Online-Kolumne „Stadtparkett“ das Geschehen in Bayreuth.