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Musik für Misfits

Sie zählt laut The Gap und Der Tagesspiegel zu den spannendsten Newcomer:innen Österreichs. Mit verspieltem Ernst und einer Stimme, die süchtig macht, ist Rahel gekommen, um zu bleiben. In ihrem Kosmos leben New-Wave-Gitarren friedlich neben Dreampop-Melodien, NDW-Synths neben rebellischen Rocksongs. Vor ihrem Gig beim Bayreuther Kneipenfestival am 21.10. im Kulturhaus Neuneinhalb sprachen wir mit der in Wien lebenden Sängerin. 

bayreuth4U: Du hast dich in kürzester Zeit vom Geheimtipp zu einer der gefragtesten Newcomerinnen Österreichs entwickelt. Wie hast du die letzten zwei Jahre während und nach der Pandemie erlebt?

Rahel: Aufregend, wild, anstrengend, fad, lustig und genauso, wie ich es mir vorgestellt hab! Ich hab vor vielen Jahren, als ich ein Kind war, beschlossen, diesen Weg zu gehen, ich habe mich eigentlich schon seit zwanzig Jahren darauf eingestellt. Trotzdem hat man keine Ahnung, wie es sich dann schlussendlich anfühlen würde. Sich als Act zu etablieren nach Corona, das ist schon eine besondere Schwierigkeit. Ich bin meinem Umfeld aber sehr dankbar. Vor allem Raphael Krenn und Marie Hummer. Und den vielen Leuten, die bereits gratis für mich gearbeitet haben, zum Beispiel für meine Musikvideos und Fotoshootings.

bayreuth4U: Gerade Wiener Pop-Bands haben in den vergangenen Jahren für viel Aufsehen gesorgt, aus deutscher Perspektive wirkt das oft alles etwas lässiger, mutiger und frischer als hierzulande. Wie siehst du die dortige Musikszene und fühlst du dich als Teil von ihr? 

Rahel: Ich liebe sie. Ich freu mich sehr, über die Quirkyness, die hier entstehen darf. Eine Band, die mich immer beeindruckt hat, ist Pauls Jets. Oder Der Nino aus Wien. Oder die Künstlerin Monsterheart. Oder Alicia Edelweiß. Es gibt sehr viele tolle Bands, die es nie darauf angelegt haben, mainstream zu sein oder kommerziell erfolgreich zu sein. Das bewundere ich. Zu sagen, es gibt keine guten Bands, abseits der großen Bühnen, halte ich für völligen Schrott. Ein Wiener Künstler hat das mal gesagt und es sich damit sehr leicht gemacht. 

bayreuth4U: In deinen Songs treffen NDW-Anklänge auf Dreampop, queere Themen auf viel Wortwitz. Wie bist du dazugekommen, Musikerin zu werden und wo siehst du selbst deine Einflüsse? 

Rahel: Oh danke für diese gut recherierten Fragen. Ich habe es damals als Kind beschlossen, als ich Pünktchen von Pünktchen und Anton auf der Kinoleinwand in Drosendorf (das ist ein kleiner Ort mit Kultstatus) dabei beobachtet habe, wie sie sich Löcher in die Strumpfhose zwickt und in der Nacht aus ihrem Fenster kriecht, um Straßenmusikerin zu sein. Kinder wissen sehr oft sehr genau was sie wollen und ich finde es sehr wichtig, solchen kindlichen Wünschen gerecht zu werden. Meine Mutter war Alleinerzieherin und hat sich für mich den Arsch abgearbeitet. Sie hat mir immer alles zugetraut und so konnte ich diese Naivität entwickeln und sie wie einen großen Mittelfinger dem Patriarchat entgegenstrecken.

bayreuth4U: Ideal-Sängerin Annette Humpe gilt als eines deiner Vorbilder. Was begeistert dich an ihr? Ich habe das Mal vor zwei Jahren gesagt, als NDW noch nicht so groß im erneuten Kommen war. Jetzt kommt es mir ein bisschen merkwürdig vor, weil ich das Gefühl habe, NDW wird bald nicht mehr trenden. Für mich ist diese Musik trotzdem irgendwie zeitlos, genau wie Annette Humpe und ihre Schwester. Sie ist für mich eine unkonventionelle Frau, die ihr Ding macht und die „Szene“ nicht ernst genommen hat. Das finde ich alles sehr wichtig. Blaue Augen trifft mich jedes Mal mitten ins Herz, auch wenn der Song nicht gut gemischt ist haha. Bei meinem ersten Konzert wurde mir danach gesagt, dass ich ihr ähnle. Damals hatte ich noch nicht so viel Selbstbewusstsein als Performerin und deshalb hat es mich unheimlich gefreut und ich dachte, wie unglaublich magisch irgendwie, dass man die Dinge, die man liebt, auch ausstrahlen kann. 

bayreuth4U: Du hast vor deiner Musikkariere Schauspiel studiert. Hilft dir das bei deinen Videos und Bühnenshows? Kannst du dir vorstellen, später mal zur Schauspielerei zurückzukehren?

Rahel: Es hilft mir auf der Bühne. Ich liebe es zu performen. Besonders mit Band. Ich hab meistens keine Angst. Das mag jetzt arrogant klingen (ich finds aber btw, wichtig, dass auch FLINTA*s mal arrogant rüberkommen dürfen hehe), aber ich hab mir viel selbst beigebracht. Es war weniger die Schauspielschule – auf der ich mich gefühlt hab wie ein Alien, ich bin auch fast davon verwiesen worden, weil ich auf Misstände aufmerksam machen wollte – als vor allem das ankämpfen gegen Dinge, die ich nicht gut finde. Ich hab nie viel Theater gespielt, nach einer Me-Too-Erfahrung und dabei wenig Rückhalt vom Team war ich aber so abgehärtet, dass ich mein eigenes Ding machen konnte. Und ich liebe die Freheit, die ich hier habe! Ich kann mich anziehen wie ich will. Ich kann Videos ganz nach meinem Geschmack machen, mir aussuchen, mit wem ich arbeiten möchte – ich liebe es oft.

bayreuth4U: FM4 hat deinen Sound einmal ganz wunderbar als „Musik für die Merkwürdigen“ bezeichnet, du selbst bist in einer alternativen Hof-WG aufgewachsen. Was bedeutet Anderssein für dich?  

Rahel: Anderssein gibt’s ja nicht. Jede:r ist anders. Manche sind vielleicht ein bisschen anderster, aber was ist denn schon die Norm? Ich versteh oft dieses Konzept nicht. Von meiner Musik dürfen sich aber besonders auch Misfits angesprochen fühlen. Leute, die es nicht immer leicht haben. Sie soll ein bissi wie eine Decke am Lagerfeuer sein, aus der rätselhafte Klänge emporströmen. Die Welt ist so öd, wenn man die Magie vergisst. Ich wünsch allen, die es verdient haben, dass sie Schönheit und Magie in ihrem Leben haben. Und ich bin sehr oft sehr traurig, weil viele diese Dinge entweder nicht sehen oder das Leben sie ihnen nicht gönnt. It’s just not fair. An dieser Stelle ein großer Dank an FM4, an Rene Froschmayr, an Lisa Schneider, Nina Fiva, Alica Ouschan, Susi Ondrušová, an alle lieben Moderator*innen. Ich hatte ein riesiges Glück, weil ich irgendwie vom Anfang an von ihnen verstanden wurde.

bayreuth4U: Auf deinen Pressefotos bist du oft in extravaganten Outfits zu sehen. Welchen Stellenwert genießt Mode in deinem Leben?

Rahel: Sie macht mir großen Spaß! Das Leben kann immer vorbei sein. Jeden Tag kann es sich schlafen legen und nie wieder kommen. Es ist doch die einzige logische Konsequenz, sich so anzuziehen, wie das Herz es von einem verlangt. Ich hasse Fast Fashion. Ich liebe Personen, die selbst Gewand nähen, zum Beispiel Alex Vanova, die super jung und super begabt ist. Sie hat alle Outfits für das Video zu Schaffner gemacht. Meines besteht glaube ich aus Farbfangtüchern für die Waschmaschine. Es ist aus Papier, basically! Ich liebe es auch, Sackerl auf der Straße zu finden, in denen gebügelte Designer Kleider liegen. Ich liebe es manchmal, kein Geld zu haben. So bleibt man sehr offen für die guten Dinge.

bayreuth4U: Du sprachst in einem Interview davon, in Zukunft hoffentlich mehr aktivistische Themen angehen zu wollen. Was geht dir gerade wirklich auf den Zeiger?

Rahel: Huiui. Vieles! Natürlich. Ich versuche gerade, nicht zu viel zu hassen, weil der Hass kann auf den Magen gehen und dann ist man nicht glücklich und man atmet den Hass hinaus in die Welt und alle können ihn spüren und müssen manchmal kollabieren. Es ist voll wichtig, als FLINTA* die Erfahrung des Hasses zu machen, so ganz konsequent und ohne Wenn und Aber. Doch dann ist es vielleicht auch gesund, ein bisschen damit aufzuhören wieder. Das fällt mir manchmal bisschen schwer. Ich hasse z.B. diese (manche davon viel mehr und manche viel weniger natürlich) Putin, das Regime im Iran, Trump, weniger vielleicht: Lindemann, Scooter, Yung Hurn, Raf Camora, Kickl, Lindner, …

bayreuth4U: Beim „Bayreuther Kneipenfestival“ bist du im Kulturhaus Neuneinhalb zu erleben. Wie wichtig sind Live-Konzerte für dich und worauf können sich die Besucher:innen des Konzerts freuen?

Rahel: Ich hoffe, dass alle kurz den Ernst des Lebens vergessen, dass kurz so ein bestes, kitschiges Miteinander entsteht, dass man nur kurz das Gefühl bekommt, für immer nur zu sein, für ein paar Momente, dass man aufhört, über die Steuererklärung nachzudenken, den Tod des Hamsters, die Rechnungen, die Karriere, das Geld, Karies und den Klimawandel.

Ich freue mich auf euch. Sehr!
Danke für die Fragen.

Dieses Jahr wird Rahel uns beim Kneipenfestival beehren. Tickets bekommt ihr hier.

Foto: Marlene Fröhlich

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